Dienstag, 20. September 2016

Die Kunst, glücklich zu sein




Auf den ersten Blick mag es verblüffen, dass Arthur Schopenhauer, dessen Name zu einem Synonym für Pessimismus geworden ist, eine „Eudämonologie oder Die Kunst, glücklich zu sein“ geschrieben hat. Wie kann ein Mann, der das Leben als eine Sache betrachtet, „die es besser ist hinter sich, als vor sich zu haben“, eine Anleitung zum Glücklichsein verfassen?

Schopenhauers Ansicht nach ist „in der Welt überall nicht viel zu holen: Noth und Schmerz erfüllen sie, und auf Die, welche diesen entronnen sind, lauert in allen Winkeln die Langeweile. Zudem hat in der Regel die Schlechtigkeit die Herrschaft darin und die Thorheit das große Wort. Das Schicksal ist grausam und die Menschen sind erbärmlich.“

Ist es nicht paradox, dass ein Mann, der diese Welt für ein Jammertal hält, seine Zeit damit vergeudet, eine Kunst zu lehren, die seinem eigenen Eingeständnis nach, nie zum Ziele führen kann?

Das vermeintliche Paradoxon löst sich schnell auf, sobald man einen genaueren Blick auf sein Buch wirft. Dann kann man nämlich erkennen, dass es Schopenhauer auch gar nicht darum zu tun war, eine Anleitung zu geben, wie man sein Glück mehren könne, sondern vielmehr eine Anleitung, wie man sein Unglück verringern könne. Sein Buch besteht lediglich aus Maximen, die es uns ermöglichen sollen, „den Pfeil und Schleudern des wütenden Geschicks“ so weit als irgend möglich zu entgehen. Statt des Titels „Die Kunst, glücklich zu sein“, hätte sein Buch daher auch genauso gut den Titel „Die Kunst, nicht allzu unglücklich zu sein“ tragen können. 



Nach Schopenhauer sind wir alle in Arkadien geboren: „Wir treten in die Welt voll Ansprüche auf Glück und Genuß und bewahren die thörichte Hoffnung, solche durchzusetzen, bis das Schicksal uns unsanft packt und uns zeigt, daß nichts unser ist, sondern alles sein, da es ein unbestreitbares Recht hat nicht nur auf allen unsern Besitz und Erwerb, sondern auf Arm und Bein, Auge und Ohr, ja auf die Nase mitten im Gesicht.“ Erst wenn wir erkennen, dass unser Streben nach Glück „einer Jagd nach einem Wilde gleicht, das gar nicht existiert“, hören wir auf, Glück und Genuß zu suchen, und sind allein darauf bedacht, dem Schmerz und Leiden möglichst zu entgehen“.

Die erste Lektion, die Schopenhauer seinem Publikum erteilt, lautet denn auch: „Um nicht sehr unglücklich zu werden, ist das sicherste Mittel, daß man nicht sehr glücklich zu werden verlange, also seine Ansprüche auf Genuß, Besitz, Rang, Ehre u.s.f. auf ein ganz Mäßiges herabsetze: denn eben das Streben und Ringen nach Glück zieht die großen Unglücksfälle herbei.“

Die zweite Lektion, die wir in unserem Leben zu lernen haben, ist, uns selbst zu erkennen. „Ein Mensch muß wissen, was er will, und wissen, was er kann.“ Solange jemand sich selbst nicht kennt und über seine eigenen Vorlieben und Abneigungen im unklaren ist, wird er nämlich „manchen um eine Lage und Verhältnisse beneiden, die doch nur dessen Charakter, nicht dem seinigen, angemessen sind, und in denen er sich unglücklich fühlen würde. Denn wie dem Fische nur im Wasser, dem Vogel nur in der Luft, dem Maulwurf nur unter der Erde wohl ist, so jedem Menschen nur in der ihm angemessenen Atmosphäre; wie denn zum Beispiel die Hofluft nicht jedem respirabel ist.“

Erst wenn man mit seinen eigenen Stärken und Schwächen vertraut ist, wird man aufhören, „mit falscher Münze zu spielen“ und „etwas anderes sein zu wollen, als man ist“. „Nachahmung fremder Eigenschaften und Eigentümlichkeiten ist“ nach Schopenhauer „viel schimpflicher als das Tragen fremder Kleider: denn es ist das Urteil der eigenen Wertlosigkeit von sich selbst ausgesprochen.“ Schopenhauer gemahnt uns in diesem Zusammenhang denn auch noch einmal an Goethes berühmtes Wort aus dem „Faust“:

Du bist am Ende, was du bist.
Setz dir Perücken auf von Millionen Locken,
Setz deinen Fuß auf ellenhohe Socken:
Du bleibst doch immer, was du bist.


Im Jüdischen gibt es die schöne Redewendung: „Wenn du Gott zum Lachen bringen willst, erzähl ihm von deinen Plänen.“ Ganz ähnlich rät Schopenhauer in einer dritten Lektion davon ab, die Rechnung ohne den Wirt zu machen. Wann immer wir Pläne für unser Leben schmieden, sollten wir daran denken, dass unser Schicksal nur sehr bedingt in unserer Hand ist:

„Es ist im Leben wie im Schachspiel: in beiden machen wir zwar einen Plan: dieser bleibt aber ganz und gar bedingt durch das, was im Schachspiel der Gegner und im Leben das Schicksal zu tun belieben wird.“

Ein vierter Ratschlag, den Schopenhauer uns mit auf den Weg gibt, lautet, dass wir das wenige, das uns vergönnt ist, zu würdigen wissen sollten. Statt der Flüche, mit denen wir behaftet sind, sollten wir unsere Segnungen zählen. „Wir müssen es dahin zu bringen suchen, dass wir, was wir besitzen, mit eben den Augen sehn, wie wir es sehn würden, wenn es uns entrissen würde: was es auch sei, Eigentum, Gesundheit, Freunde, Geliebte, Weib und Kind: meist fühlen wir den Wert erst nach dem Verlust. Wir pflegen beim Anblick alles dessen, was wir nicht haben, zu denken, »wie, wenn das mein wäre?«, und dadurch machen wir uns die Entbehrung fühlbar. Statt dessen sollten wir bei dem, was wir besitzen, denken: »wie, wenn ich dies verlöre?«“    

Nachdem er Senecas Ausspruch zitiert: „Niemals wirst du glücklich sein, wenn es dich quält, daß ein anderer glücklicher ist“, schreibt Schopen-hauer: „Nichts ist so unversöhnlich und so grausam wie der Neid: und doch sind wir unaufhörlich bemüht, Neid zu erregen!“

Die fünfte Lektion, die Schopenhauer seinen Lesern mit auf den Weg gibt, lautet daher: Nichts ist unserer Zufriedenheit abträglicher als ein auf Neid abzielendes Streben nach Geld und Ansehen.

„Es ist eine große Thorheit, um nach außen zu gewinnen, nach innen zu verlieren, d.h. für Glanz, Rang, Prunk, Titel und Ehre, seine Ruhe, Muße und Unabhängigkeit hinzugeben. Man erringt den Wohlstand für gewöhnlich nur auf Kosten seiner Muße: aber was hilft mir der Wohlstand, wenn ich das, was allein ihn wünschenswerth macht, die freie Muße, dafür hingeben soll?“

Wie hinlänglich bekannt, hatte Schopenhauer keine sonderlich hohe Meinung von den Menschen. „Die gewöhnlichen Leute sind bloß darauf bedacht, die Zeit zuzubringen, wie dies die Erbärmlichkeit der Zeitvertreibe bezeugt, zu denen man sie greifen sieht, imgleichen die Art ihrer Geselligkeit und Konversation, nicht weniger die vielen Thürsteher und Fensterkucker.“

Da ihm das Fernsehen noch unbekannt war, ereifert er sich insbesondere über das Kartenspiel, das für ihn „der deklarirte Bankrott an allen Gedanken ist: Weil sie nämlich keine Gedanken auszutauschen haben, tauschen sie Karten aus und suchen einander Gulden abzunehmen. O, klägliches Geschlecht!“  

Trotz seiner zunächst etwas elitär anmutenden Denkweise räumt Schopenhauer -- im großen Unterschied zu allen anderen Philosophen -- der bloßen „Heiterkeit des Sinnes“ jedoch eine weitaus größere Bedeutung bei als den „Fähigkeiten des Kopfes“. Für ihn ist die angeborene Heiterkeit des Gemüts ein unmittelbarer Gewinn: „Nichts kann so sehr, wie diese Eigenschaft, jedes andere Gut vollkommen ersetzen; während sie selbst durch nichts zu ersetzen ist. Einer sei jung, schön, reich und geehrt; so frägt sich, wenn man sein Glück beurtheilen will, ob er dabei heiter sei: ist er hingegen heiter; so ist es einerlei, ob er jung oder alt, gerade oder pucklich, arm oder reich sei; er ist glücklich.“




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