Am 12. Oktober 2007 hat die Giordano-Bruno-Stiftung erstmals ihren mit €
10.000 dotierten "Deschner-Preis" vergeben. Dieser nach dem bekannten
Kirchenkritiker Karlheinz Deschner benannte Preis ist für herausragende Leistungen
auf dem Gebiet der Religions- und Ideologiekritik gedacht. Der damalige
Preisträger war der Oxforder Evolutionsbiologe Richard Dawkins, der mit seinem in
über 30 Sprachen übersetzten Buch "Der Gotteswahn" zweifellos einen
herausragenden Beitrag zur Kritik der monotheistischen Religionen geleistet hat.
Am 3. Juni 2011 sollte der Deschner-Preis an den australischen Philosophen
Peter Singer verliehen werden. Die Wahl schien denkbar gut getroffen. Denn wie
Karlheinz Deschner, so setzt sich auch Peter Singer bereits seit Jahrzehnten für
den Schutz der Tiere ein. Sein in über 20 Sprachen übersetztes Buch „Animal
Liberation“ gilt vielen geradezu als „Bibel der Tierbefreiungsbewegung“. Vermutlich
gibt es kein zweites Buch, das so viele Menschen dazu gebracht hat, dem Verzehr
von Fleisch zu entsagen und sich vegetarisch zu ernähren.
Trotz anfänglicher Begeisterung sprach sich Karlheinz Deschner nur
wenige Monate vor dem Festakt gegen die Verleihung des nach ihm benannten
Preises an Peter Singer aus. Bislang konnte man nur mutmaßen, was Deschner zu
seinem Geisteswandel bewogen haben mag. Inzwischen hat Gabriele Röwer jedoch
Licht in das Dunkel gebracht. In einem in der Zeitschrift „Aufklärung und
Kritik“ veröffentlichten Artikel beschreibt sie, was Karlheinz Deschner von Peter
Singer trennt.
Für Karlheinz Deschner geht die Tierethik von Peter Singer nicht weit
genug. Anders als Singer möchte Deschner jedes
Lebewesen geschützt sehen. Ohne den religiösen Begriff von der „Heiligkeit
allen Lebens“ zu bemühen, glaubt er doch, dass jedes Leben den gleichen Wert habe. Auch wenn nicht
alles Leben gleichartig sei, sei es
doch gleichwertig.
Der Grund für Deschners ungewöhnliche Haltung liegt an seinem – auch von
Giordano Bruno geteilten – Hang zum „Hylozoismus“: „Ich neige zum Hylozoismus,
wonach jeder Stoff (hyle) von Leben (zoe) erfüllt ist, zum nahverwandten Panpsychismus
sogar, der alle Materie für beseelt hält – woran ich nur beim Anblick bestimmter
Artgenossen zweifle, aber nie vor Tieren, Blumen, einem Baum.“
Bei aller Bewunderung für den Autor der zehnbändigen „Kriminal-geschichte
des Christentums“ wirft seine Weltanschauung doch einige kritische Fragen auf.
Wie Deschner weiß, ist jede philosophische Position nur so gut wie die
Argumente, die sie stützen. Doch wo sind die Argumente, die es uns erlauben
anzunehmen, dass alle Lebewesen – ganz zu schweigen von aller Materie! – „beseelt“
wären?
Sicher, es lässt sich nicht ausschließen, dass auch Bakterien, Blumen,
Bäume, Schmetterlinge, Würme und Käfer eine „Seele“ haben. Doch aus der
Tatsache, dass sich die Existenz eines Innenlebens bei diesen Wesen nicht
ausschließen lässt, folgt noch nicht, dass sie eines haben. Wir brauchen
plausible Gründe dafür anzunehmen, dass, sagen wir, eine Rose oder eine Ameise,
ein Bewusstsein, ein Ich oder ein Selbst haben. Nach allem, was wir wissen, spricht
nichts dafür, dass sie auch nur empfindungsfähig, geschweige denn leidensfähig,
sind.
Ich bezweifle nicht im geringsten, dass sich Karlheinz Deschners Mitgefühl
buchstäblich auf alle Lebewesen erstreckt. Doch ich wage zu bezweifeln, dass er
wirklich davon überzeugt ist, dass alles Leben den gleichen Wert habe. Wie wir
alle, so ist auch Deschner dazu gezwungen, Werturteile vorzunehmen. Es vergeht
kein Tag, an dem wir dies nicht tun. Wenn wir beim Aufschneiden einer Tomate
nicht denselben Widerwillen empfinden wie wir ihn beim Aufschneiden einer Katze
empfinden würden, zeigt dies bereits, dass wir nicht alles Leben als gleich
wertvoll betrachten.
Angenommen, Karlheinz Deschner befände sich in einer Klinik für Reproduktionsmedizin.
Nachdem ein Feuer ausbricht, kann er entweder ein gerade geborenes Baby oder
eine Petrischale voller Embryonen retten. Würde er – würde irgendjemand? – daran
zweifeln, dass er das Baby retten würde? Wenn er dem Überleben des Babys aber
größere Bedeutung beimisst als dem Überleben der Embryonen, kann er unmöglich alles
Leben für gleichermaßen wertvoll erachten.
Es gibt gute Gründe dafür, dass wir allen Menschen von Geburt an nicht
nur ein moralisch, sondern auch ein juridisch geschütztes Recht auf Leben
zuerkennen. Wollte Deschner allen Ernstes, dass wir auch das Leben von
Bakterien mit der Macht des staatlichen Schwertes verteidigen, selbst wenn dies
bedeutete, dass wir dann Kleinkinder an Diphterie sterben lassen müssten?
Es erscheint mir offenkundig, dass Deschner die praktischen Konsequenzen
seines Hylozoismus nicht ernsthaft durchdacht hat. „Alles Leben hat den
gleichen Wert!“, hört sich zweifellos schön an. Damit kann man durchaus ein
„Wort zum Sonntag“ bestreiten. Doch letztlich ist es eine bloße Floskel. Und
wenn es jemand versteht, bloße Floskeln als solche zu entlarven, dann ist es für
gewöhnlich Karlheinz Deschner.
Darüber hinaus missversteht Deschner die Auffassung von Singer auch.
Wenn es etwa heißt, dass „philosophische Spekulationen darüber, wer leben darf
und wer nicht“, Deschners Wesen fremd seien und ihm geradezu zynisch
erscheinen, dann unterstellt er Singer eine Absicht, die er gar nicht verfolgt.
Singer versucht nicht zu entscheiden, „wer leben darf und wer nicht“, sondern
er versucht zu entscheiden, wessen Leben wir mit Hilfe von Moral und Recht
schützen sollten. Dies ist keineswegs dasselbe. Selbst wenn Singer den Schutz
von Moral und Recht auf das Leben von Menschen, Schimpansen, Elefanten oder
Delfinen beschränkt, bedeutet dies nicht, dass alle anderen Lebewesen nun keine
Daseinsberechtigung hätten, nicht leben dürften und getötet werden müssten. Es
bedeutet lediglich, dass wir die Tötung einer Ameise, eines Käfers oder einer
Schnecke nicht von unseren Justizbehörden verfolgen und ahnden lassen.
Es ist schwer vorstellbar, dass Deschner anders denkt als Singer. Wenn
er zwar die Tötung eines lärmenden Kindes, nicht aber die Tötung einer lästigen
Fliege strafrechtlich verfolgen und mit Freiheitsentzug ahnden lassen will,
kann er einfach nicht jedem Leben den gleichen Wert beimessen.
Es wäre mehr als bedauerlich, wenn die geistigen Bande zwischen Peter
Singer und Karlheinz Deschner durch bloße Missverständnisse zerrissen würden.
Er sollte das „Great Ape Project“, für das Singer letztlich den „Ethik-Preis“
der Giordano-Bruno-Stiftung erhalten hat, als das betrachten, was es ist: Ein
erster Schritt in Richtung eines moralischen und rechtlichen Schutzes
nicht-menschlicher Tiere. Dass dieses Projekt auf Schimpansen, Gorillas,
Orang-Utans und Bonobos beschränkt ist, bedeutet nicht, dass es zu Lasten
anderer Tiere ginge. Ganz im Gegenteil! Sobald es gelungen ist, die Gesetzgeber
dieser Welt von der Notwendigkeit eines rechtlichen Schutzes großer Menschenaffen
zu überzeugen, kann damit begonnen werden, diesen Schutz auch auf andere Tiere
zu erweitern.
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